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21.06.2004 Thüringer Allgemeine Sterbende Meere, Fichten so kahl:Zum Tod des Dichters Hanns Cibulka von Heinz Stade
Neben der ungeöffneten Post der letzten Tage liegt auf dem Schreibtisch von Hanns Cibulka ein unbeschriebenes weißes Blatt Papier. Dieses verfluchte leere Blatt, das den Schriftstellern ein Gräuel ist, so lange kein Anfang zustande kommen will. Hanns Cibulka, der am Sonntag in einem Gothaer Krankenhaus verstorben ist, war diesem Blatt zuletzt doppelt gram.
Den ganzen Tag gearbeitet und keine Zeile auf das Papier gebracht", hatte der kraftlos und müde gewordene, seit wenigen Jahren nur noch mit zitternder Hand schreibende Hanns Cibulka seine Frau zu Wochenbeginn resigniert wissen lassen. Nicht, dass er ein Viel- oder gar Schnellschreiber gewesen wäre. Aber so gar nichts mehr auf das Papier zu bringen, was Bestand haben könnte und worauf eine große Leserschar wartet, das machte ihn unzufrieden. Wenn einer mit fast 84 öffentlich kund tut, dass er trotz allem den Glauben an den Menschen nicht verloren habe, jedoch eingesteht, "dass dieser Glaube nichts hilft", dann zeugt das von Altersweisheit. Natürlich. Der über viele Jahrzehnte als Bibliothekar und Schriftsteller eng mit Gotha verbundene, dort aber längst nicht immer wohl gelittene Autor hat sich zu solchen Erkenntnissen und Einsichten förmlich hingeschrieben und eine große Anhängerschar auf diesem ehrlichen Weg der Erkenntnis behutsam und überzeugend mitgenommen.
Anfang der 1950er-Jahre, Cibulka war noch nicht lange aus seiner oberschlesisch-mährischen Heimat ausgewiesen worden, ging er mit Versen wie diesen an die Öffentlichkeit: "Ein kleines Stück / der neuen großen Welt, / voll von dem, was verging / und was noch kommen wird, / eine Landschaft / voll Arbeit und Frieden / und zwei Silben Sehnsucht - / Deutschland." Vier Jahrzehnte später hatte die Sehnsucht sich in der Wiedervereinigung erfüllt. Doch der kritische und sensible Beobachter Cibulka mahnte sogleich: "Was die kommenden Jahre uns bringen, kann keiner vorhersagen. Sternstunden werden es nicht sein. So schnell wird unser Land nicht zur Ruhe kommen.”Die Jahrzehnte dazwischen? Ein von fortdauerndem Aufbäumen und wachsender Resignation geprägtes Leben. Mehr als ein halbes Dutzend Gedichtbände legte er vor. Populär aber machten ihn andere Texte, seine Tagebücher. Solange er sich damit begnügte, als Tagebuchschreiber Vergangenes aufzuarbeiten, war es in der Ordnung. Mit dem Hiddensee-Text "Sanddornzeit" (1971) schrieb er sich, zaghaft noch und verschlüsselt, in der DDR an das heran, was fortan sein Thema werden und bis zuletzt bleiben sollte: Schutz und Erhalt der uns umgebenden Umwelt. Den Autoren des 1973 erschienenen Schriftstellerlexikons blieb das nicht verborgen. Laut diesem lässt das bis dahin von Cibulka vorgelegte Werk "die ständige Prüfung und Festigung seiner sozialistischen Position erkennen" und freilich nur "vereinzelt" werden darin Probleme benannt, "die mit dem Aufbau der sozialistischen Gesellschaft sichtbar wurden". Spätestens mit "Swantow. Die Aufzeichnungen des Andreas Flemming" (1982), das auch vom "Fischsterben" berichtete, ließen sich derlei bagatellisierende Umschreibungen nicht mehr aufrechthalten.Cibulka war zum ersten "Grünen" der DDR geworden. "MEIN Vaterland / sind die sterbenden Meere, / die Fichten, / die wie Ruderstangen / kahl / in den Himmel stehen." Die Erstauflage von 15 000 Exemplaren war nach wenigen Tagen vergriffen. In einem Land jedoch, das offiziell keinen sauren Regen kannte, das sich trotz verfaulender Flüsse und hochgradig ungesunder Luft in der Propaganda als ökologisches Musterland präsentierte, musste das Folgen haben. In der thüringischen Provinz war es fortan keiner Buchhandlung oder Bibliothek mehr gestattet, ihn zu einer Lesung einzuladen. Der Vorleser Cibulka wurde in die voll besetzten Kirchen getrieben.Wer glaubte, ihm seien mit der Wiedervereinigung die literarischen Reibflächen und Themen abhanden gekommen, der irrte. Das vor kurzem erschienene Bändchen "Späte Jahre" (Reclam Leipzig) ist voll davon und muss nun als sein Credo verwahrt werden. Mit Blick auf das Schnelllebige unserer Tage ist darin zusammengefasst, was den Mahner Cibulka zeitlebens beschäftigt hat. Er, der die Jahre mit sich fortschleppte ins Altvatergebirge, nach Sizilien, nach dem Castel del Monte, lauscht darin in das Rauschen der Zeit und redet uns davon mehr und kräftiger denn je ins Gewissen. "Meine Zeit läuft ab", registrierte er Wochen vor dem Unvermeidlichen ohne die geringste Koketterie oder Traurigkeit. "Wenn man alt wird, nimmt man außerhalb der Geschichte Platz, man bewegt sich am Rande des Unerklärbaren." Vor zwölf Jahren, da waren wir gemeinsam in den Wäldern um seine geliebte Hütte bei Tambach-Dietharz spazieren, antwortete er auf die Frage, wie er sterben möchte: "Friedlich." So ist es gekommen.Am kommenden Freitag (14 Uhr) findet auf dem Gothaer Friedhof die Trauerfeier statt.
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